Real Life Resurrection

Persönliche Transformation:

Wachstum – Fußabdruck – Leidenschaft

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Meine toxische Wohngemeinschaft

Ich wohne in einer sehr lebendigen Wohngemeinschaft. Nicht lebendig im Sinne von „Wir kochen zusammen und gucken Dokus über fermentierte Bohnen“, sondern eher so: Drama, Daueralarm und Dosenbier. Meine Mitbewohner heißen Stress, Angst, Wut und Ohnmacht – und ja, sie sind so anstrengend, wie sie klingen.

Stress ist der frühaufstehende Kontrollfreak, der rastlos unter permanentem Erfolgsdruck steht. Er diktiert die To-Do-Liste schon morgens beim Zähneputzen. Sobald der Aufzug länger als drei Sekunden braucht starrt er nervös auf sein Handy. Ich will alles – und zwar gestern! Alle Nachrichten, die er versendet hat, die aber noch unbeantwortet sind, sind Flugzeuge, die über seinem Kopf wie über einer Landebahn kreisen.

Angst wohnt direkt neben meinem Schlafzimmer. Sie flüstert nachts durch die Wand: „Was, wenn du es nicht schaffst?“ oder „Was wenn Du kritisiert wirst?“ und „Zeige bloß keine Schwäche!“  Angst ist wie ein Rauchmelder mit Akku-Problem – piept, auch wenn gar nichts brennt.

Wut hat eine laute Stimme, eine kurze Zündschnur und eine Meinung zu allem. Sie wirft Türen zu, kommentiert Autofahrer*innen mit Vokabular aus der Hölle und ist fest davon überzeugt, dass alle anderen in der WG – Zitat – „komplett inkompetent“ sind. Und trotzdem ist sie irgendwie loyal. Wenn jemand mich blöd anmacht, steht sie sofort da mit verschränkten Armen: „Willst du das wirklich nochmal sagen?“

Ohnmacht ist das Gegenteil. Sie liegt auf dem Sofa, seit Wochen, mit Chips auf dem Bauch und Netflix in Dauerschleife. Sie hat sich eine Höhle gebaut, aus dem sie nur manchmal herausflüstert: „Es ist absurd, aber ich kann nichts tun.“

Und jetzt wird diskutiert, ob Geduld und Gelassenheit einziehen dürfen.

Stress ist strikt dagegen: „Die bringen alles durcheinander! Keine Struktur, keine Verbindlichkeit, das wird hier ein Ort der Entschleunigung – und davon hat noch niemand ein Projekt fertiggestellt!“

Angst ist skeptisch: „Was, wenn sie uns verändern? Oder schlimmer: wenn es außer Kontrolle gerät?“

Wut findet Geduld ist keine Tugend mehr, sondern ein Systemfehler. Warten ist was für Leute ohne WLAN – oder ohne Prime.

Die Ohnmacht murmelt: „Mir doch egal, solange die Tee mitbringen.“

Ich – also, die Person, die offiziell Hauptmieterin ist – überlege. Könnten Geduld und Gelassenheit diese WG retten? Oder würden sie nach einer Woche wieder ausziehen, weil die Energie hier „zu toxisch“ ist?

Ich stelle mir vor, wie Geduld morgens den Kaffee aufsetzt, während Gelassenheit barfuß den Balkon fegt und Stress, Wut, Angst und Ohnmacht sich langsam beruhigen, weil jemand da ist, der nicht sofort ausflippt. Vielleicht würden wir sogar mal zusammen frühstücken. Mit frischen Brötchen. Und ohne Schuldgefühle.

Disruption ist Männer-Yoga

Neulich saß ich in meinem Lieblings-Café. Neben mir: drei Typen im Hoodie, die sich leidenschaftlich über „das nächste große Ding“ unterhalten. Spoiler: Es ist natürlich Disruption. Mal wieder.

Disruption ist männlich. Nicht, weil Frauen nicht disruptiv wären – sondern weil Männer das Wort einfach öfter schreien, während sie ein Whiteboard anstarren, als hinge dort das Rätsel des Lebens.  In der Tech-Szene wird der Disruptor als  Held inszeniert.  Er bricht Regeln. Er ist rebellisch, rastlos, oft genial. Zerstörung von Bestehendem, um Neues zu schaffen.

Die Technologie wird zum Machtmittel um Kontrolle, Geschwindigkeit und Effizienz zu gewinnen. In der Inszenierung wird High Tech zur Sandbox mit Dresscode. Zutritt nur mit Daunenweste, einem 10-Punkte-Plan für „scalable innovation“ und der Bereitschaft, mindestens einen Satz täglich zu sagen wie: „Wir wollen die Welt verändern.“ Egal was. Wichtig ist nur: Es wird anders.

Früher war Chaos etwas, das man aufzuräumen versuchte. Heute ist es ein Feature. Man nennt es „agile Projektentwicklung“. Meetings ohne Agenda? Top. Launch eines unfertigen Produkts? Visionär. In Wahrheit ist Chaos das spaßige Accessoire der Disruptoren. Chaos ist kein Problem, sondern Teil des Mythos. Im echten Leben ist Chaos nervig. In der Tech-Welt ist es sexy. Vor allem, wenn man es in einem Hoodie orchestriert, der aussieht wie „Ich hab kein Geld für Waschmittel“, aber 12k kostet und nur mit Crypto bezahlt werden kann.

Die Einstellung, etwas zu zerstören, um es wieder aufzubauen, schleicht sich aus in die traditionelle Unternehmenswelt ein.  Es ist die ältere Managementgeneration, die ihr Disruptions-Gen als Jungbrunnen entdeckt hat. Abenteuer und Risikobereitschaft sind jetzt in Mode. Anscheinend wurde haben sich die älteren Herren eine Autonomie-Impfung selbstverabreicht. Impulsive Entscheidungen sind an der Tagesordnung. Bloß keine Zeit mit Inhalten verschwenden.

Alles ist permanent im Fluss getragen von markig maskulinen Ankündigungen, mitunter abgeschwächt durch ein Wimmelbild für die beschwichtigende Kommunikation. Niemand weiß, was als nächstes passieren wird. Es lebe die Start-up-Mentalität: Wenn Du nicht mindestens dreimal fast pleite war, bist du einfach nicht disruptiv genug. Fehler? Wachstumsschmerzen. Kundenverlust? Beta-Test. Totalversagen? Lernfelder.

Jetzt braucht es nur noch ein paar treue, leicht zu manipulierende Mitläufer. Am besten junge, aufstrebende Sterne. Ehemalige Berater, Investmentbanker usw. sind perfekte Kandidaten. Sie sind willig zu dienen. Definieren sich stark über äußere Erfolge wie Leistung, Status oder Macht. Sie sind stecken viel Energie in die Aufrechterhaltung und Vergrößerung des Egos, geprägt von einer eitlen oder vergleichenden Sicht auf die Außenwelt, in der es darum geht „besser“ zu sein als andere. Perfekte Jünger. So kann Micromanagement erfolgreich implementiert werden,

Die Welt muss verändert werden. Dringend. Am besten von Leuten, die noch nie den Geschirrspüler ausgeräumt haben, aber wissen, wie man eine Gesellschaft „komplett neu denkt“. Disruption ist dann das, was passiert, wenn Männer so lange an der Welt rumschrauben, bis sie aussieht wie ihr Browserverlauf: unübersichtlich, laut, voller Tabs, und ständig poppt irgendwas auf, das keiner wollte.

Connected. Open hearted. Courageous.

Flughafen MUC, 7 Uhr morgens. Ich, noch im Halbschlaf, versuche verzweifelt, mein E-Ticket in der App zu finden, während die Schlange wächst und mein Handy langsam glüht. Neben mir ein junger Typ mit Beats-Kopfhörer. Er tippt mir plötzlich auf die Schulter und sagt: „Du musst einfach das Wallet öffnen. Geht schneller.“ Fremde Menschen, frühe Uhrzeit, Kontrollverlust. Aber er grinst. Ich vertraue.  Wir lachen. Dann sagt er: „Wenn du mal in Liverpool bist, sag Bescheid.“ Ich speichere seine Nummer unter „Airport Angel“ ab. Die Welt ist plötzlich kleiner. Und sehr connected.

Die Welt wird instabiler und der Ton wird rauer, maskuliner. Gleichzeitig werden zwischenmenschliche Beziehungen zur stabilisierenden Kraft. Soziale Nähe wirkt als Gegengewicht zur äußeren Instabilität. Doch in disruptiven Zeiten ist Nähe kein Selbstläufer. Grenzen öffnen sich digital – und schließen sich real. Algorithmen verbinden, aber sortieren auch aus. Wirkliche Vernetzung ist ein Akt des Willens. Eine tägliche Wahl.

Noch nie war es so leicht, mit der ganzen Welt verbunden zu sein – und doch fühlt es sich manchmal so schwer an, wirklich in Verbindung zu bleiben. Kontakte sind im Überfluss vorhanden, aber echte Verbindung ist Mangelware. „Bleiben wir in Kontakt.“ Ein Satz, den man oft hört – und der doch selten hält. Menschen suchen nach Zugehörigkeit. Nach Vertrauen. Nach echten Gesprächen, in denen nicht nur Sprache, sondern auch Bedeutung geteilt wird.

Wer international denkt, der weiß: Die spannendsten Entwicklungen beginnen immer genau da, wo wir uns kurz unwohl fühlen. Wo wir die Kontrolle ein kleines bisschen loslassen. Wo wir Dinge nicht sofort verstehen – und trotzdem zuhören. Echtes Wachstum basiert nicht auf Zahlen, sondern auf Verbindung. Open minded zu sein heißt nicht, allem sofort zuzustimmen. Es heißt, bereit zu sein, sich herausfordern zu lassen. Von anderen Kulturen, anderen Meinungen, anderen Wegen. Raus aus der Komfortzone.  Aber was tun, wenn Worte stolpern, Gesten missverstanden werden und ein simples Emoji internationale Krisen auslösen kann? Neugier und Kreativität lassen uns wachsen.  Die kindliche, ehrliche, offene Neugier fragt: „Wie meinst du das?“ statt „Warum machst du das so?!“ Sie hört zu, ohne zu bewerten. Vielleicht steckt hinter der irritierenden Verhaltensweise eine wunderschöne Geschichte. Kreativität kann uns helfen, die Verbindung künstlerisch zu gestalten.

Echte Verbindung ist nicht nur ein Zustand. Sie entsteht, wenn jemand trotz aller Unterschiede sagt: „Lass uns trotzdem etwas zusammen machen.“ Ein Gespräch. Ein gemeinsames Projekt. Verbindungen wachsen nicht trotz der Unterschiede – sondern durch sie. Wenn wir aufhören, alles sofort verstehen zu wollen, und anfangen, gemeinsam zu staunen. International vernetzt, offen im Herzen und mutig im Handeln – das ist nicht nur ein Satz. Es ist eine Haltung. Eine Herausforderung. Und ein ziemlich guter Grund, all den Instabilitäten mutig zu trotzen und wieder aufzustehen, wenn es etwas nicht funktioniert hat.

Gedankenkarusell: Ich steige aus!

Heute ist der Tag für einen innerlichen Großputz. Nächsten Monat steht mein 50. Geburtstag an. Plötzlich setzt sich in meinem Kopf ein endloser innerer Monolog voller „Was wäre wenn?“-Sätze in Gang. An diesen Tagen findet das Leben nicht im Hier und Jetzt statt, sondern in einem gedanklichen Paralleluniversum in dem alles besser gelaufen wäre. Nächsten steht das Unvermeidliche bevor und ich entschließe mich vor meinem 50. Großputz zu machen (50 ist das neue 30 Haha!):

  • Was wäre, wenn ich damals diesen einen Typen nicht einfach hätte gehen lassen?
  • Was wäre, wenn ich nicht auf Sicherheit, sondern auf Leidenschaft gesetzt hätte?
  • Was wäre, wenn ich damals Journalismus studiert hätte?

Da gibt es kein Entkommen, immer nur neue Türen mit immer neuen Varianten der eigenen Vergangenheit – alle besser als das Original. Ich spiele alternative Versionen meiner eigenen Biografie durch, leider ohne Happy End. Und sogleich gesellt sich die emotionale Nebenwirkung des Gedankenkinos hinzu: die Reue. Sie ist wie ein schlecht gelaunter Beifahrer, der ständig murmelt: „Hab ich dir doch gesagt, du hättest rechts abbiegen sollen – am 15. Mai 1998.“ Reue ist die einzige Emotion, die einem beim Zähneputzen, Einschlafen und Joggen zuverlässig Gesellschaft leistet. Sie liebt Trigger: Fotos, alte E-Mails, runde Geburtstage als man noch dachte, 50 sei was für andere.

Meine Countdown Box verdeutlicht mir meine Situation anschaulich. Ich habe zu meinem 49. Geburtstag eine Bucket Box geschenkt bekommen mit exakt 52 Aktivitäten, die bis zu meinem 50. Geburtstag zu erfüllen sind. In der Box sind noch exakt 3 Karten. 3 Aktivitäten bis zum Touch Down. Ich rubble die Aktivität für diese Woche frei „Schreibe einen Brief mit Deinen Lebenszielen an Dich selbst.“

Was würde ich am Ende meines Lebens sagen? „War das schön, ich hatte ein glückliches Leben mit vielen Glücksmomenten.“ Wohl eher nicht, bisher war alles mehr Pflichterfüllung als die Leichtigkeit des Seins. Oder vielleicht „Ich habe einen Unterschied gemacht, etwas bewegt, es hat einen Sinn gemacht.“ Naja, offensichtlich auch eher schwierig. Ich hätte vielleicht gerne einen Unterschied gemacht, bin aber gefangen in Pflichterfüllung und Abhängigkeiten. Rückblickend auf den bisherigen Lebensweg wäre es wohl „was für eine Reise“. Viele unterschiedliche Erfahrungen, so manches Abenteuer, durchlebte Hochs und Tiefs und eine gute Portion Neugier.

Kurzfristig bereuen wir meist die Dinge, die wir getan haben – wie diese unsägliche WhatsApp-Nachricht nach dem dritten Aperol. Langfristig hingegen trauern wir dem nach, was wir nicht getan haben. Der Kuss, den wir uns nicht getraut haben. Der Job in Lissabon. Die Reise, die wir auf „nächstes Jahr“ verschoben haben.

Da ist er wieder der Gedanke. Es ist Zeit zum Aufbruch. Das Unternehmen, das wie eine Familie geworden ist, zurücklassen und auf zu einem Solo-Backpacking-Trip ins Ungewisse. Jetzt schlägt die Wut in Trauer um. Das kann und darf doch alles nicht wahr sein. Wie konnte es so weit kommen.

„Danke, liebes Gedankenkarussell, ich steig jetzt hier aus. Mir ist schlecht.“

Der Schwarze Schwan kommt

Ein Glas Champagner ist nie ein Fehler. Übereilt eine Treppe hinunter gehen und eine Stufe zu übersehen dagegen schon. Ein Sturz und ein unsägliches Geräusch. Schmerz lass nach. Tief durchatmen. Alles bestimmt halb so schlimm. Der erste Aufstehversuch scheitert kläglich. Also vorrobben und das Gefälle der Treppe nutzen. Dann geht es einfacher. Von wegen. Da liegt er nun der gestrandete Wal und kann nicht mehr aufstehen. Jetzt ist der Stein am Rollen.

Nach der Untersuchung wird klar, ich hatte mehr Glück als Verstand. Nichts gebrochen, das Knie stabil. Die Muskulatur und die Streckersehne ist das Problem. Eine Ruptur. Heilt aber von alleine. Ich bin sowas von erleichtert. Schmerztabletten und Krücken. Ruhe, hochlegen und kühlen. Dann wird das schon wieder. Physisch kein Problem. Von psychologischen Folgen war allerdings nicht die Rede.

Die Schmerzen bewirken, dass ich seit langer Zeit meinen Körper wieder spüre. Das klingt völlig verrückt. Aber in all dem Stress scheint sich mein Geist vom Körper entfernt hatte. Nun gehe ich bei ungewöhnlich schönem, sonnigen Wetter zur Mobilisierung langsam durch den Park. Ich atme tief ein und aus. Eine Stille macht sich breit und ich genieße das Alleinsein. Nun kommen völlig unkontrolliert schon fast philosophische Gedanken an die Oberfläche. Ich beginne über mein Knie als Wunderwerk der Evolution und Paradebeispiel für technische Genialität und alltägliches Versagen zu sinnieren. Mechanisch gesehen ist es ein einfaches Scharniergelenk. Es verbindet Oberschenkel und Unterschenkel, ermöglicht Bewegung, gibt Halt. Doch das Knie ist mehr als nur Anatomie. Im übertragenen Sinn ist es das Symbol unserer modernen Haltung: beweglich, aber nicht beliebig. Es lässt uns in die Knie gehen, wenn Demut gefordert ist. Es lässt uns aufstehen, wenn Widerstand gefragt ist.

Während das Gehirn plant, das Herz fühlt und die Hände greifen, ist es das Knie, das entscheidet, ob wir loskommen. Es ist das Scharnier zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Aufbruch und Zusammenbruch. Manchmal streikt es – meist ohne Vorwarnung, oft im falschen Moment. Wie ein sturer Kollege im Team Veränderung. Einer, der beim Wort „Flexibilität“ müde lächelt und lieber erstmal einknickt. Doch genau darin liegt seine Wahrheit: Das Knie ist nicht gemacht für permanente Belastung, sondern für rhythmische Bewegung. Für Vor und Zurück. Für das Leben in Etappen. Und vielleicht erinnert es uns gerade deshalb daran, dass auch Fortschritt nicht ohne Beugung funktioniert. Dass jeder Schritt nach vorne eine kleine Verneigung vor dem Moment ist.

Noch nie zuvor war ich so sehr auf Hilfe angewiesen und sehe die Welt aus einer neuen Perspektive. Fest steht, dass ein Stein ins Rollen gekommen ist. Eine Entwicklung hat sich in Gang gesetzt. Neustart?

Mein Phönix trägt Lesebrille

Frühling. Wir alle lechzen nach Licht und einem Neustart. Trotzdem halten wir an alten Routinen fest. Spoiler: Mein Phönix hat keinen Raketenstart hingelegt. Eher so ein gemächliches „Ich zieh mir erst mal die bequemen Socken an.“ Und ich frage mich, wie bekomme ich ohne KI raus, wo ich meinen Schlüssel hingelegt habe?

Neuanfänge mit 50 sind kein dramatischer Akt aus Licht, Feuer, Flügel und Applaus. Kein glamouröses Fabelwesen, das sich in Flammen hüllt und dann majestätisch aus der Asche steigt  Der innere Phönix muss nicht glitzern oder laut sein. Er kann in Birkenstocks daherkommen – aber er lebt. Und wie! Er sagt Sachen wie: „Du musst niemandem mehr gefallen außer dir selbst.“ Und: „Man kann auch im Baumarkt Erleuchtung finden. Zum Beispiel bei den LED-Spots.“ Ab einem gewissen Alter – sagen wir, ab dem Moment, wo man Cremes nicht mehr nach Duft, sondern nach Wirkstoffgehalt kauft –  bekommt das Wort „Neubeginn“ eine neue Bedeutung. Es ist nicht die große Show „Ich mach alles anders!“.  Es ist ein leises: „Ich mach’s trotzdem.“ Trotz all der Selbstzweifel. Und es passiert etwas Wunderbares: Plötzlich erlaubt man sich Dinge, die früher unvorstellbar waren. Ein radikaler Haarschnitt. Ein längerer Auslandsaufenthalt. Neue Freunde. Ein neuer Job. Eine Trennung.

Veränderung ist keine gerade Linie. Sie ist ein Kreisen, ein Nach-innen-horchen, ein mutiger Schritt ins Unbekannte. Transformation ist kein Marschbefehl – sie ist ein Tanz. Spüren und verändern. Fordern und verkörpern. Um echte Durchbrüche zu erzielen, ist es ist an der Zeit Transformation neu zu denken: fließender, menschlicher, weiblicher. Transformation ist keine PowerPoint-Präsentation. Sie ist wie das Leben selbst: chaotisch, widersprüchlich und emotional. Aber sie funktioniert. Nicht immer perfekt, nicht immer linear, aber mit Herz und Verstand. Und genau deshalb ist Transformation weiblich. Weil sie nicht fragt, ob es geht – sondern wie.

Und mein innerer Phönix? Der hat vielleicht ein paar graue Federn und braucht eine Lesebrille. Aber der Blick ist klar und schärfer als je zuvor. Die Richtung stimmt. Er hat aber auch einen Plan B. Erfahrungswerte sorgen für eine gewisse Abgeklärtheit gegenüber Trends wie „Digital Detox“, „Trendjacking“ oder „Reels Feed“. Und das Feuer? Das brennt – langsam, aber unaufhaltsam.

Neuanfänge über 50 sind wie ein langsam aufblühender Kirschbaum im April: unspektakulär, leise, aber wunderschön.

Mein Phönix spricht auch Englisch

Heute sage ich: Ja. Ich bin bereit für Veränderung. Keine große Auferstehung aber ein Update und bitte keine brennende Asche, sondern lieber mit Espresso und ein bisschen Sonne. Mein Neuanfang soll klüger werden. Und vor allem: neugieriger auf andere Menschen. Früher wollte ich wissen, ob die Frisur sitzt. Heute will ich wissen, wie man in England eine echtes Britisch Roast zubereitet, und ob meine japanische Nachbarin wirklich jeden Morgen um sechs meditiert – oder ob sie einfach nur Kaffee trinkt und uns alle blufft.

Vielleicht ist das das Geheimnis des Neuanfangs: Es geht nicht mehr und die Suche nach Weltveränderung. Gesucht werden vielmehr echte Begegnungen. Und man findet – sich selbst.

Deutschland und England. Zwei Länder, die sich im Grunde mögen, aber trotzdem jedes Mal einen kleinen Kulturschock erleben, wenn sie aufeinandertreffen. Es fühlt sich an, wie ein Film mit Untertiteln, die immer eine Sekunde zu spät kommen. Man versteht sich irgendwie – aber nie ganz sicher. Genau das macht es spannend. Zwischen all der Verwirrung entsteht etwas Wunderbares – Lachen, Neugier und eine charmante Art, sich gegenseitig nicht ganz zu kapieren, aber zu mögen.

Die Sprache ist und bleibt ein Abenteuer. Meistens beginnt alles völlig harmlos: Der Engländer sagt charmant „We should hang out sometime.“ Der Deutsche prüft den Kalender, schlägt Donnerstag 18:30 Uhr vor. Ergebnis: Der Engländer ergreift die Flucht – höflich versteht sich. Der Deutsche googelt: „Was bedeutet hang out auf Englisch wirklich??“

Und dennoch, kommt eine tiefergehende Konversation über das Leben zustande, über Mut, über Menopause, über Zwiebel-Chutney. Entstehen diese Momente, in denen man merkt: Unsere Kulturen sind verschieden, aber unsere Geschichten ähneln sich. Jede von uns trägt ihre Brüche, aber auch ihre Neuanfänge in sich. Wir haben beide gelernt, wie man mit Würde loslässt – und wieder aufsteht.

Mein innerer Phönix hat sich nicht in Silicon Valley weitergebildet, sondern in einer kleinen englischen Stadt. Dort, wo ich gelernt habe, dass wahre Verbindung aus Zeit, Tee und Interesse entsteht.

Auferstehung ist nicht laut. Sie ist ein Lächeln über Sprachbarrieren hinweg. Eine Umarmung, obwohl man sich erst zweimal gesehen hat. Und der Mut, Dinge trotz Selbstzweifel einfach auszuprobieren, Fehler zu machen und einfach darüber zu lachen.

Leben, nicht leisten

Der Wecker klingelt. Ich wache auf – oder besser gesagt: Ich werde hochgefahren. Mein innerer Prozessor checkt den Kalender, mein System lädt die To-dos, mein Blick fällt auf die Mails, noch bevor mein Kaffee bereit ist. Willkommen im Funktionsmodus.

Aber mal ehrlich: Wer hat eigentlich entschieden, dass Leben gleich Leisten bedeutet? Und wo genau steht geschrieben, dass wir unser Dasein in Milestones messen müssen – mit „Erfolg“ als Endgegner und Burnout als Bonuslevel? In Kindertagen war völlig klar, das Leben ist ein Spiel. Diese Leichtigkeit klingt gut, oder? Und jedem Kind ist klar, das Spiel ist vorbei, sobald man etwas muss.

  • Müssen ist das Game Over der Leichtigkeit.
  • Müssen killt die Neugier, die Freude, das Herumspinnen.
  • Müssen verwandelt das bunte Brettspiel des Lebens in eine graue Excel-Tabelle mit Pflichtfeldern.

Früher war mein Ego mein Motivationscoach: immer auf der Suche nach Anerkennung, Applaus, Likes und Latte Macchiato in hippen Coworking-Spaces.  „Zeig, was du kannst, überhol die anderen, und bitte mit Stil.“ Der Verstand war sein Sidekick – sachlich, effizient, kontrolliert. „Mach weiter, sei effizient, sei vernünftig.“ Gemeinsam waren sie ein unschlagbares Duo. Leider auch ein nervtötendes. Und herzvergessendes.

Und dann kam das Herz. Erst als flüsternder Störfaktor.  „Ähm… darf ich auch noch kurz was sagen?“ Leider ist das Mikrofon meistens gerade besetzt. Dann lauter und als Stimme hörbar. „War der Deal nicht ein anderer? Wir sind nicht auf diese Welt gekommen, um wie Maschinen zu funktionieren. Wir sind hier, um zu spüren. Um zu lachen, zu lieben, Fehler zu machen – und um mit Passion Dinge zu tun, die nicht mal eine KPI haben.“

Schließlich als Entscheidung. Heute frage ich nicht mehr: Was bringt’s? Sondern: Was bewegt’s? Ich lebe nicht mehr, um zu funktionieren. Ich gestalte, um zu fühlen. Ich arbeite, um zu wachsen. Ich bin nicht mehr Maschine, sondern Mensch. Und das fühlt sich verdammt lebendig an.

Das Leben gestalten heißt nicht, dass immer alles glitzert. Aber manchmal reicht schon ein Glitzersticker auf dem grauen Alltag, um zu merken: Hey, ich hab da was in der Hand. Auch wenn es nur ein rosa Filzstift ist.

Eine kleine Revolte gegen den Perfektionismus

Es fängt ja schon morgens an. Ich wache auf und mein Handy sagt mir, ich hätte besser schlafen können. Danke, Schlaftracker. Mein Kaffee ist nicht „latte-art-fähig“, sondern einfach nur Kaffee. Und in der Küche steht noch der Teller von gestern. Nicht mal hübsch angerichtet – einfach gegessen. Ein Skandal.

Früher hätte ich mich jetzt gegeißelt, optimiert und innerlich geseufzt: Nächstes Mal bitte perfekter, ja? Heute denke ich: Och nö. Heute reicht auch okay. Ich hatte mal einen perfekten Lebensplan. Also so einen mit Etappen, Deadlines, Checklisten und farblich markierten Karriereschritten. Sah toll aus – wie eine Mischung aus Businessplan und Visionboard. Ich dachte, wenn ich das alles brav abarbeite, winkt am Ende die große Belohnung: Zufriedenheit. Ich dachte lange, Zufriedenheit wartet am Ende eines gut geplanten Lebens. So zwischen Karrieresprung und dem dritten Digital Detox. Ich jagte Zielen hinterher wie ein Kind Seifenblasen – nur dass die Blasen nicht platzen, sondern sich einfach ständig verlagern. Ein bisschen höher, ein bisschen weiter, ein bisschen… mehr. Und dieser Goldtopf am Ende des Regenbogens? Spoiler: Wenn man da ankommt, hat man Rückenschmerzen, das Passwort vergessen und muss eh wieder los, weil man noch schnell erfolgreich sein muss.

Also hab ich beschlossen: Ich höre auf zu rennen. Ich übe das Stehenbleiben. Und das Sitzenbleiben. Und manchmal sogar das Liegenbleiben mit Chips. Perfektionismus schreit: „Da geht noch was!“ Aber mein inneres Genug flüstert: „Hier ist’s eigentlich ganz schön.“ Mein „Genug“ ist jetzt offiziell ein geschützter Bereich. Zutritt nur für Menschen mit halbvollen Gläsern und ohne Bullet Journal. Perfektionismus darf draußen bleiben – zusammen mit den guten Vorsätzen, den Detox-Kuren und den kalorienfreien Glücksversprechen.

Ich habe übrigens mein Visionboard umgehängt. Es hängt jetzt hinter dem Kühlschrank. Und wenn ich es wiederfinde, schreibe ich mit Edding drauf: Genug ist genug

Mein persönlicher Fußabdruck

Ein ganz gewöhnlicher Dienstag. Vollgepflastert mit zahlreichen Terminen. Ein Tag endloser Meetings. Zwischen zwei dieser Meetings hielt ich plötzlich inne. Was mache ich da eigentlich. Inwiefern hat uns diese riesige Diskussionsrunde eigentlich weitergebracht? Wäre der Termin anders verlaufen, wenn nicht ich, sondern ein Herr Müller, Maier, Schmidt teilgenommen hätte?  Auf dem Bildschirm vor mir blinkten Diagramme, PowerPoints und mein Kalender, der aussah wie ein Tetris-Spiel auf Schwierigkeitsstufe „Unmenschlich“. Mein Kollege ruft mir im Vorbeigehen noch zu: „Wir brauchen noch ein Alignment-Meeting.“

Da schob sich eine ganz andere Frage in meinen Kopf: Wohin will ich meinen Fußabdruck setzen? Wir wünschen uns doch alle, einen Fußabdruck zu hinterlassen – etwas, das zeigt, dass wir da waren und dass es nicht egal war. Spuren hinterlassen,  im Leben anderer Menschen, in der Welt, im Beruf oder generell im großen Ganzen. Es geht darum, nicht einfach spurlos zu verschwinden, sondern etwas Bleibendes zu schaffen oder in Erinnerung zu bleiben.

Der erste Schritt in Richtung eines eigenen Fußabdrucks ist gleichzeitig der kniffligste. Es geht um das Erkennen der eigenen Werte und Leidenschaften. Was treibt mich an? Wo liegen meine persönlichen Stärken? Aus der Beantwortung dieser Fragen formt sich ein innerer Kompass, der den Weg weist. Es geht dabei um wirkliche Innenschau nicht um eine halbherzige Inspiration aus einem Instagram-Post. Und da war sie wieder, die zentrale Frage nach den Lebenszielen aus meiner Bucket Box:

  • Gesund bleiben durch regelmäßige sportliche Aktivitäten und eine gesunde Lebensweise
  • Eine glückliche Partnerschaft und harmonische Beziehung zu Freunden und Familienmitgliedern pflegen
  • Neue Fähigkeiten und Kenntnisse erlernen und nie zum Stillstand kommen

Es hat sich etwas verändert. Unter den Top-3 befindet sich offensichtlich kein Leistungs-, Berufs- und Karriereziel mehr.

In einer Zeit, in der der Wandel zum ständigen Begleiter geworden ist, ist es zudem wichtig, zu verstehen, dass es niemals zu spät ist. Ganz im Gegenteil, mit der Erfahrung kommt die Klarheit. Kombiniert mit Neugier bildet die Erfahrung eine solide Basis, um kreative Wege jenseits der starren Linien zu erkunden. Mit 50 hat man ja endlich genug Erfahrung, Fehltritte und kleine Siege gesammelt, um zu wissen, welcher Fußabdruck überhaupt der eigene sein soll – und nicht bloß die Kopie von irgendwem anders. Es beginnt die beste Zeit, um einen Fußabdruck zu hinterlassen – nicht weil das Leben vorbei wäre, sondern weil man endlich weiß, wohin man ihn setzen will.

Und während draußen der Regen gegen die Fensterscheiben trommelte und ich den dritten Kaffee umrührte, wusste ich: Diese Frage würde ich so schnell nicht wieder los. Vielleicht ist das der Moment, in dem echte Veränderung beginnt – nicht mit einem Strategiepapier, sondern mit einer einfachen, unbequemen Frage mitten im Alltag.

Warum dein Umfeld plötzlich den Notruf wählen möchte

Es fängt harmlos an. Du kündigst an, „etwas verändern zu wollen.“ Noch nichts Konkretes, einfach ein bisschen mehr von dir selbst und etwas das wirklich Spaß macht. Und schon gerät dein Umfeld in Alarmbereitschaft.

Transformation – das wird mir schnell klar – ist in Wirklichkeit eine Art Gesellschaftstanz. Während ich versuche, elegant neue Schritte einzubauen, klammert sich mein Umfeld verzweifelt an die alte Choreografie. Nichts macht Menschen nervöser als jemand, der plötzlich nicht mehr berechenbar ist. Erst recht, wenn er dabei lächelt. Kaum hatte ich verkündet, dass ich etwas verändern will – ich, persönlich, echt jetzt! –, geht ein Raunen durch den Freundeskreis, als hätte ich angekündigt, eine Sekte zu gründen und in Zukunft deine Mahlzeiten nur noch bei Vollmond und in Plüschkostümen einzunehmen.

Die Reaktionen sind ein Best-of menschlicher Unsicherheit: 

Kategorie 1: Die Apokalyptiker

Sie reagieren wie bei einem plötzlichen Erdbeben: „Geht’s dir gut? Brauchst du Urlaub? Einen Arzt?“ Sie greifen sich ans Herz und stöhnen: „Oh Gott, was ist passiert? Midlife-Crisis? Burnout?“ Ich sage: „Ich möchte einfach nur ein bisschen mehr das tun, was mich glücklich macht.“ Sie hören: „Ich kündige, gehe ins Ausland und werde Trommler in einer schamanischen Reisegruppe.“

Kategorie 2: Die Kontrollfreaks

Sie blättern gedanklich sofort durch mögliche Interventionspläne: „Veränderung? Schön. Aber überstürze nichts. Denk an deine Verpflichtungen. Denk an deine Krankenversicherung. Denk an deinen Bausparvertrag!“

Kategorie 3: Die Augenzwinkerer

Sie machen Witze: „Na klar, und ich werde nächste Woche Astronaut.“ Ironie – die letzte Verteidigungslinie, wenn Menschen nicht wissen, wie sie mit echtem Mut umgehen sollen.

Kategorie 4: Die Sehnsüchtigen

Sie nicken begeistert, wenn ich von meinen Plänen erzähle, ihre Augen leuchten kurz auf – und dann murmeln sie Sätze wie: „Ach ja, ich müsste ja eigentlich auch mal… irgendwann… später…“ Innerlich würden sie am liebsten aufspringen, sich mir anschließen, gemeinsam durchbrennen – aufbrechen zu neuen Ufern, Träume verwirklichen, endlich eigene Fußabdrücke hinterlassen. Aber irgendwas hält sie zurück. Ein bisschen Angst. Ein bisschen Vernunft. Ein bisschen „Was-wenn-ich-dann-scheitere?“. Und so sitzen sie da, bewundern deine Transformation wie Kinder ein Feuerwerk – aus sicherer Entfernung

Und ich? Ich bin ein bisschen verwirrt, ein bisschen befreit, und begreife. Es ist völlig okay. Freunde müssen nicht sofort begeistert sein. Ich habe auch gelernt, mit den Sehnsüchtigen besonders liebevoll umzugehen, denn sie zeigen mir nicht meine Schranken, sondern ihre eigenen.

Veränderung fühlt sich für alle erst mal an wie neue Schuhe: am Anfang drückt es, später tanzt es sich leichter. Entscheidend ist nicht stehen zu bleiben, nur weil andere Angst haben, dass ich plötzlich auf High Heels laufe.

Das Leben ausmisten und Ordnung ins Chaos bringen

Es begann – wie so vieles – mit einem harmlosen Blick auf die Küchenarbeitsplatte. Ein einzelner Kaffeefleck. Winzig. Fast poetisch. „Den wisch ich schnell weg“, dachte ich. Ein Satz, der rückblickend in etwa so naiv war wie: „Ich schau nur ganz kurz bei Ikea rein.“ Der Lappen war noch nicht ganz in der Hand, da sprang mein Blick auf den Wasserkocher. Kalk. Wie eine Schneedecke auf dem Mount Everest – nur unromantischer. „Den entkalke ich eben noch“, murmelte ich, bereits leicht entrückt. Dann die Besteckschublade. Alles durcheinander. Im Wohnzimmer ging’s weiter. Der Couchtisch, das Bücherregal, das geheimnisvolle Kabelwirrwarr hinter dem Fernseher. Nach drei Stunden roch die Wohnung nach Zitronenreiniger und Triumph. Ich hatte eigentlich etwas ganz anderes vor. Und wie immer, wenn etwas wirklich Wichtiges ansteht, meldet sich das Gehirn mit einem charmanten Umweg: „Lass uns erst mal aufräumen. Nur ganz kurz.“

Der Gedanke, der sich durch meinen Aufräumanfall Ausdruck verliehen hat, war weitreichend. Ich muss mein Leben ausmisten. Für mich stand die Putzaktion stellvertretend für das Statement „Ich bin bereit.“ Ich ziehe die metaphorischen Gummihandschuhe an, schnappe mir den Staubsauger (oder in diesem Fall, den digitalen Entrümpler), und los geht’s. Dachte ich jedenfalls. Aber es gibt ein Problem: Das Leben ist nicht wie ein Schrank, in dem man einfach alles rauszieht und sagt: „Tschüss, brauchst du nicht mehr.“ Nein, das Leben ist ein sehr störrischer Kleiderschrank, der uns ständig mit emotionalem Kram, überflüssigen Sorgen und abgelaufenen Träumen überschüttet.

Starten wir mit den materiellen Dingen: Der Kleiderschrank – ein heiliges Unterfangen, bei dem ich ernsthaft darauf hoffte, mich von mindestens 20 Jahren an Klamotten zu befreien. Doch wie bei jedem guten „Ausmist-Moment“ kommt der erste Schock: Ich finde Dinge, die ich schon lange vergessen hast. Eine Lederjacke, mein Lieblingsstück aus alten Zeiten, ein Paar Schuhe, die ich nie getragen habe, und die unwiderstehliche Erinnerung an unbeschwerte Studentenzeiten. Die Zeit, als ich wirklich glaubte alles ist möglich. Spoiler: War es nicht.

Dann gibt es die geistigen Altlasten – die emotionale Version der alten, nie getragenen Kleider. Die „Freunde“, die ich nicht mehr sehe, die aber auf LinkedIn noch Geburtstagsgrüße hinterlassen. Die toxische Beziehung, die mir nicht gut tut, die ich aber trotzdem bislang noch nicht losgelassen habe, obwohl wir uns eigentlich schon lange verloren haben. Und Freundschaften, die sich zum vergilbten Fotoalbum entwickelt haben? Die Farben verblasst, und der Glanz der „Freundschaft“ ist nicht mehr da. Es beginnt ganz subtil. Der Kontakt wird immer weniger. Das Interesse schwindet. Es fühlt sich nicht mehr so an wie früher, als wir uns stundenlang über alles und nichts austauschen konnten. Und dann – der Moment der Erkenntnis: „Eigentlich sind wir uns gar nicht mehr so nah, wie ich dachte.“ Es fühlt sich an, als würde ich einem alten Teddybär den Rücken kehren, den ich mein Leben lang geknuddelt habe.

Aber der wahre Kampf kommt, wenn die „Verabschiede dich von toxischen Gedanken“-Phase kommt. Aber das ist wie das Öffnen eines Weinkellers – so viele Erinnerungen und Gedanken, die ich einfach nicht loslassen kann.  Unzählige Erinnerungen: von wilden Partys bis hin zu tiefgründigen Gesprächen in der Nacht. Ich fühle mich plötzlich wie ein halber Minimalist, der mit jedem Gedanken, den er loslässt, etwas mehr von sich selbst entdeckt. Doch statt den Wein zu entkorken, fange ich an, mich in den Korken zu verlieben und denke: „Der könnte irgendwann noch mal nützlich sein.“

Das Beste ist: Wenn man es einmal angeht, macht der Prozess fast süchtig. Es geht nicht nur um das Loslassen der Dinge, sondern auch darum, das Gefühl zu erleben, wie der Kopf freier wird. Fast so, als würde ich das große „Zurück zu mir“-Schild aufstellen, während ich alles, was mir nicht mehr gut tut, in den virtuellen Müll schiebe.

Am Ende stelle ich fest, dass es nicht nur die Sachen im Schrank sind, die verschwinden, sondern auch die Dinge, die mich psychisch belastet haben – wie ein nie gelebter Traum oder die ständigen Zweifel. Und plötzlich fühle ich mich ein Stück freier, auch wenn der Schrank immer noch halb voll ist. Vielleicht ist das Ausmisten im Leben gar keine große Reinigung, sondern eher ein sanfter „wir sehen uns später“-Moment zu den alten Gewohnheiten. Und wer weiß? Vielleicht kommt ja auch etwas Neues und Überraschendes zum Vorschein.

Zwischen gestern und Horizont

Ich sitze in einem Café, das Buch „Die Kunst der Transformation“ liegt neben meinem Avocado-Toast. So, ich bin bereit mein Leben zu ändern. Ich nehme einen Bissen, schaue selbstbewusst aus dem Fenster, als wäre ich plötzlich die Heldin eines Selbstfindungsromans. Doch dann erscheint der Kellner mit einem verführerischen Stück Schokoladenkuchen. Ich nehme einen tiefen Atemzug.  Und genau in diesem Moment kommt ein weiterer Kellner vorbei, mit einem gigantischen Latte Macchiato. Das wird noch ein langer Weg!

Wer Transformation plant, stellt sich oft vor, er müsste sofort die perfekte Route kennen. Ziele definieren, Meilensteine setzen, SWOT-Analyse in fünffacher Ausführung. Wachsen fängt selten mit einem Masterplan an. Es beginnt damit, dass man sich traut, nicht zu wissen, was passiert – und trotzdem etwas zu tun.

Vielleicht geht es beim Aufbruch weniger darum, sofort das richtige Ufer zu erreichen, sondern überhaupt erst einmal den Mut aufzubringen, den Teich zu stören und neugierig zu bleiben.  Viele kleine Steinchen in den Teich zu werfen – und neugierig zu beobachten, welche Kreise sich ziehen. Manche Steine versinken einfach. Manche bringen eine Ente zum Quaken. Und manche lösen eine Kettenreaktion aus, die bis ans andere Ufer schwappt.

Manchmal werfen wir ein ganz kleines Steinchen, ein winziges Veränderungsprojekt – vielleicht eine neue Morgenroutine oder der Entschluss, endlich mal das Gemüse zu essen, das wir für den guten Ruf in unserem Kühlschrank horten. Zuerst ploppt es nur kurz auf der Wasseroberfläche auf, das war’s. Aber dann – wusch! – ziehen sich kleine, aber feine Wellen. Und plötzlich haben wir die Motivation, unser ganzes Leben auf den Kopf zu stellen. Es geht los mit dem Projekt „Transformation“, und wir sind bereit, eine neue Welt zu schaffen

Kaum sind diese vielen Steine im Wasser, merkt man es: Der Teich ist voll von Kreisen. Und das ist genau der Punkt, an dem Transformation zur Sportart wird. Denn jeder Kreis hat seine eigene Dynamik, seine eigene Geschwindigkeit. Manche verbreiten sich schnell und ziehen uns mit. Andere sind zäh und benötigen mehr Geduld. Und dann gibt es diese besonders hartnäckigen Kreise, die einfach nicht verschwinden wollen. Sie wecken Fragen. Sie sagen: „Warte mal, geht’s hier nicht eigentlich um mehr als nur Wasser trinken und Gemüse essen?“

Das Schöne daran: Der Teich wird nie wieder derselbe sein. Selbst wenn du nur mit einem einzigen Stein gestartet bist, wirst du am Ende feststellen, dass du vielleicht nicht nur einen Teich verändert hast, sondern gleich das gesamte Ökosystem. Und wer hätte gedacht, dass diese ganzen kleinen Steinchen – die mit ihren kleinen, unscheinbaren Wellen – so eine große Wirkung haben könnten?

Also, ran an die Steine! Werfen, beobachten, wundern und dann den nächsten werfen. Manchmal ist es nämlich gar nicht die riesige Welle, die uns am meisten verändert, sondern die vielen kleinen, neugierigen Kreise, die sich durch den Teich ziehen.

Warum die Freundschaftsdiskothek manchmal schließen muss

Der Moment in dem ich realisiert habe, dass nicht alle Freundschaften für die Ewigkeit bestimmt sind, war hart. Das Besondere an Freundschaft ist, dass man sie findet und sich wünscht, dass sie bleibt. Dass man sich gesehen fühlt und ein Zuhause findet. Das Glück der Freundschaft beruht ist Freiwilligkeit. Und plötzlich ist es wie bei einer Party, auf der man irgendwann merkt, dass die Musik zu laut ist, die Snacks alle sind, und der DJ entweder verschollen oder vollkommen überfordert ist. Ich habe einfach das Gefühl, dass es Zeit ist zu gehen.

Neulich fragte mich eine alte Freundin, ob ich noch ich sei , oder ob ich jetzt komplett esoterisch geworden sei. Ich antwortete: „Ich bin in meiner Frequenz gestiegen.“ Sie hat dann gegoogelt, ob das eine Krankheit ist. Das nennt man wohl Verständnislücke.

Transformation klingt nach Schmetterling, fühlt sich aber eher an wie Raupe mit Durchfall. Nichts passt mehr. Die Wohnung zu klein, der Job zu laut, der Partner zu müde und die Freunde plötzlich wie Gäste auf einer Party, zu der man selbst gar nicht mehr gehen würde.

Ich habe erfahren, wie meine Veränderung auch mein Umfeld verändert hat. Niemand hat mich vorgewarnt, dass sich mein Umfeld manchmal wie ein bockiger Teenager, dem man das WLAN abgedreht hat, benehmen würde. Früher haben wir uns bei Wein und Chips über Männer, berufliche Herausforderungen oder den allgemeinen Wahnsinn ausgelassen – heute frage ich mich bei manchen Treffen: Warum vibriert mein inneres WLAN nicht mehr? Und das liegt nicht daran, dass die anderen schlechter geworden wären. Nein, sie sind nur auf UKW geblieben, während ich versehentlich auf DAB+ geschaltet habe. Der Empfang ist gestört. Ich will tiefgründige Gespräche- gerne bis tief in die Nacht. Mir geht es um Substanz. Natürlich darf der Wein nicht fehlen. Doch manche schauen sie mich an, als ob ich in Räucherstäbchen investiert hätte und demnächst meine Steuer-ID kündige.

Die Wahrheit ist: Transformation verändert alles. Geht die gemeinsame Wellenlänge verloren, fühlen sich Gespräche, die früher mühelos liefen, plötzlich zäh an. Oder schlimmer: Manchmal triggert Transformation. Wer selbst feststeckt, fühlt sich womöglich unbewusst herausgefordert von meiner Veränderung. Das kommt es zu Spannungen oder Rückzug – nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Selbstschutz. Die Erkenntnis, dass eine Freundschaft ihre besten Zeiten hinter sich hat, ist schwer verdaulich. Freundschaften bilden das Fundament unseres Lebens. Nun verabschieden sich einige. Manchmal leise. Manchmal mit einem Knall. Durch Slow Fading (langsamer aber sicherer Rückzug), durch Ghosting (konsequentes Nicht-mehr-Zurückschreiben) oder durch ein ausgewachsenes Drama.

Dafür kommen neue Menschen in mein Leben, die mein inneres Radio verstehen. Die mitsingen können, wenn ich meine neue Frequenz summe. Und vielleicht sogar den gleichen schrägen Song lieben. Und nein – ich bin nicht abgehoben. Ich bin nur auf Sendung. Wer mithören will: Frequenz 2025, Transformation FM. Die spielt manchmal leise Töne. Und manchmal einfach nur mich selbst.

Das Loslassen war schmerzhaft und hat sich wie ein Verlust angefühlt, der sich immer weiter ausbreitet hat. Besonders schlimm fühlt es sich an, wenn Freunde, mit denen man bisher Ängste, Hoffnungen und Träume teilen konnte, den stillen Rückzug wählen. Wie passt das zusammen? Wo echte Gefühle sind, entsteht eigentlich unweigerlich Drama – so sieht echtes und intensives Leben nun mal aus. Also stellt sich die Frage, ob die Bindung jemals echt war. Diese Frage wird wohl nie beantwortet werden. Aber hey, das ist nicht das Ende der Welt. Es ist eher eine Art Umbruch, um Platz für etwas Neues zu schaffen.

Und dann, nach einer Weile, bin ich nicht mehr traurig, dass es diese eine Freundschaft nicht mehr gibt. Ich habe einfach weitergemacht und Platz für neue Menschen geschaffen, für neue Erfahrungen. Und wer weiß – vielleicht wird die Diskothek der Freundschaften bald wieder öffnen, aber diesmal mit der richtigen Musik, den richtigen Snacks und einem DJ, der weiß, wie man das Publikum begeistert und den Freunden, die die richtigen Partygäste für den nächsten Abschnitt deines Lebens sind.

Und plötzlich ist da Glut

„Follow your passion!“, ruft uns der Zeitgeist entgegen. „Live your dreams!“ – natürlich am besten mit Sonnenuntergang im Hintergrund, Palmen und lässigem Hüftschwung. Zack! Blitz! Liebe auf den ersten Blick, Berufung aus dem Nichts. Ehrlich gesagt: Das ist Quatsch. Leidenschaft ist kein Gratispaket aus dem Universum und fällt auch nicht vom Himmel. Sie klopft nicht freundlich an die Tür und überreicht dir ein poliertes Lebenskonzept auf einem Silbertablett. In Wirklichkeit beginnt Leidenschaft meistens ziemlich unspektakulär. Kein magischer Moment. Kein Feuerwerk. Eher ein vages „Hm, ganz interessant vielleicht?“

Leidenschaft wächst oft genau dort, wo wir es am wenigsten erwarten. Sie fängt klein an – in einem Hobby, in einer Reise, in einer Begegnung und in einem sinnlichen Genuss. Und dann fängt der unangenehme Teil an. Leidenschaft muss wachsen. Über Wochen. Monate. Jahre. Sie ist störrisch, launisch und grundsätzlich immer dann beleidigt, wenn man gerade keine Zeit hat. Leidenschaft wächst so langsam wie eine Vase auf einer Töpferscheibe. Erst klumpig. Dann wackelig. Dann reißt sie irgendwo ein. Und du fängst nochmal von vorne an. Geduld? Wird gnadenlos eingefordert. Kraft? Verbraucht sich im Dutzend billiger. Energie? Braucht Nachschub – immer wieder.

Zwischendurch fragst du dich, ob das überhaupt noch Leidenschaft ist oder einfach eine tragische Form von hartnäckigem Wahnsinn. Natürlich kostet Leidenschaft Kraft. Natürlich hat man zwischendurch den Kopf voller Zweifel. Aber genau darin liegt ihre Magie: Sie gibt mehr zurück, als sie nimmt. Sie schickt Schübe von Begeisterung durch müde Tage. Sie zündet kleine Feuerwerke in Gedanken, wenn außen alles grau ist.

Was als persönliches Interesse begann, breitet sich plötzlich aus, verbindet Menschen über Ländergrenzen hinweg, knüpft Freundschaften zwischen Kulturen und Ideen. Sie ist Freude am Erforschen, am gemeinsamen Wachsen. Der Genuss, sich in neue Welten hineinzudenken. Wenn wir diesem Funken Raum geben, wenn wir neugierig bleiben, fängt die Leidenschaft an zu tanzen. Die Lust, etwas aufzubauen, das größer wird als man selbst.

„Follow your passion“? Ja, unbedingt. Aber nicht, weil Leidenschaft dich auf rosa Wolken davonträgt. Sondern weil sie dir Wurzeln schenkt. Weil sie dich anfeuert, dich durchwirbelt, dich immer wieder daran erinnert, warum du aufstehst. Leidenschaft ist der schönste, stärkste Motor, den es gibt. Er läuft nicht von allein – aber wenn er einmal anspringt, trägt er dich weiter, als du je gedacht hättest.

Heute sage ich: Gut, dass Geduld und Gelassenheit in meine Wohngemeinschaft eingezogen sind!

How embarrassing und andere Lernmomente

Früher dachte ich, Sprachen lernt man, um im Urlaub unfallfrei ein Glas Wein bestellen zu können. Heute weiß ich: Man lernt sie, um sich selbst neu zu entdecken – und dann doch ein Glas zu bestellen, aber mit Haltung. Mehr noch: Jede neue Sprache ist wie ein Update fürs Gehirn.

Mein Englisch ist wie ein Toaster aus den 90ern: es funktioniert, aber manchmal fliegt die Sicherung raus. Trotzdem hat es mich verändert. Nicht weil ich jetzt britischer wäre – obwohl ich inzwischen ‚apologies‘ sage. Englisch war meine Eintrittskarte in eine Welt, in der alles slightly awkward, aber gleichzeitig a bit more liberating ist. Am Anfang war mein Englisch eine Mischung aus Schulbuchvokabular, aus in internationalen Meetings aufgeschnappten Ausdrücken, „James Bond“-Zitaten und dem unerschütterlichen Selbstvertrauen einer Person, die „literally“ für alles benutzt. Und ich meine wirklich alles. Ich war literally always confused.

Aber mit jedem peinlichen Gespräch – und ich denke dabei z.B. an Teams-Meetings, in denen mein „Could you please?“ zur catchphrase wurde – wuchs nicht nur mein Wortschatz, sondern auch meine Geduld mit mir selbst. Jedes kleine Scheitern ist Gold wert. Scheitern macht uns menschlich, demütig – und es zeigt, dass man Transformation nicht googeln kann. Man muss sie erleben. Mit Herzklopfen, roten Ohren und einem Schmunzeln, das erst später kommt. Wenn man’s verdaut hat. Denn interkulturelle Erfahrungen transformieren nicht nur unseren Wortschatz, sondern unsere Toleranzgrenze. Für andere – und für uns selbst. Ich habe gelernt, dass man Smalltalk nicht hassen muss, wenn man ihn als olympische Disziplin betrachtet. Dass ein Lächeln in England, ein Kopfnicken in Kanada und ein „Cheers“ in Australien mehr Verbindung schaffen als jedes Grammatikbuch.

Und irgendwann merkte ich: Ich denke nicht mehr auf Deutsch. Ich denke in Halbsätzen, Füllwörtern und einem Mix aus Deutsch, Englisch und der internationalen Sprache der Körpersprache. Ich wurde multikulturell nicht durch Globetrottertum, sondern durch das tägliche Scheitern an sprachlichen Feinheiten. Und genau das war das Geschenk.

Heute ist mein Englisch besser, mein Humor internationaler, meine Geduld größer. Und wenn ich nicht weiterweiß, sage ich einfach: „Bear with me.“ Das klingt verständnisvoll, souverän – und niemand merkt, dass ich gerade gar keinen Plan habe.

Zahlen-Hirn trifft Farben-Herz

Früher definierten Pivot-Tabellen, Break-even-Analysen und die beruhigende Wirkung des Taschenrechners meinen Alltag. Durch und durch Finance-Guy in einer Welt aus klaren Linien, logischen Formeln und dem tiefen Glauben daran, dass alles eine Zahl ist – auch Erfolg. Ein Blick der Rendite ausstrahlt. Ich sprach permanent von Dingen wie Effizienz, Cash Flow und Skalierung. Alles ganz rational.

Sonntagmorgen. Ich begann den Tag ganz entspannt mit dem ersten Kaffee im Bett. Da schoss mir eine fixe Idee in den Kopf. Um mich weiterzuentwickeln muss ich neue Erfahrungen machen. Praktikum. Mit 50? Was für eine schräge Idee. Vielleicht hilft ein neuer Terminus. Volunteering oder Shadowing klingt besser. Anschließend vielleicht eine Weiterbildung. Okay, wir sprechen mindestens über einen Sabbatical. Vielleicht auch mehr.

Dann finde ich mich in einer Kreativagentur für Web-Design wieder. Man zeigte ihm eine Wand mit Post-its, Kritzeleien und einem handschriftlichen Zitat: „Mach’s geil, nicht korrekt.“ Es geschah Erstaunliches. Ich begann, Pausen einzulegen – nicht weil sie in Outlook geplant waren, sondern weil draußen die Sonne so schön auf die Backsteinwand fiel. Wir überlegen, ob „Aprikosenrosa“ oder „verbranntes Terrakotta“ besser zum Branding-Konzept passt. Das Moodboard heißt „Sehnsucht 3.0“. Es geht um „Tonality“ und „Markenseele“. Das Morgen Meeting wurde mit den Worten eröffnet: „Lass uns erst mal reinspüren, was die Marke uns sagen will.“ Jemand flüstert mir vorsichtig zu: „Hier geht’s um Gefühl.“

Dann meine erste praktische Erfahrung.  Eigentlich wollte ich nur ein neues Blogbild hochladen. Ganz einfach: Drag, Drop, Publish. Fünf Minuten maximal. Aber dann fiel es mir auf: Der Button rechts unten… saß leicht schief. Ein Pixel zu tief. Vielleicht zwei. Niemand hätte es gesehen – außer mir. Und dem Internet. Und Gott. Also öffnete ich das Design-Tool. „Nur schnell korrigieren“, flüsterte ich mir zu, wie jemand, der glaubt, nur ein Stück Schokolade zu essen. Drei Stunden später war das Bild nie hochgeladen, aber ich hatte:

  • eine komplett neue Farbpalette entworfen,
  • die Schriftart von „freundlich“ zu „frech-seriös“ geändert.

Zwischendurch war ich tief in einem Kaninchenbau aus Typografie-Tutorials und Moodboards verschwunden. Mein Browser hatte mehr Tabs als ein Adventskalender Türen. Am Ende war alles hübsch. Perfekt. Nur: Der Beitrag, den ich eigentlich schreiben wollte, existierte noch nicht. Und der ursprüngliche Button? Den hatte ich gelöscht. War eh nicht ganz mein Stil.

Ich erkenne, manchmal ist der Return on Emotion wichtiger ist als der Return on Investment. Ich war nicht mehr dieselbe. Ich war eine Kreative geworden. Ein seltener Typus: Mit Zahlen-Hirn und Farben-Herz.

Transformation schmeckt nach Wein: Ich reife also bin ich

Es gibt Tage, da fühle ich mich wie ein mittelguter Riesling: zu süß für die einen, zu sauer für die anderen – und im Abgang leicht überfordert. Und doch weiß ich: Ich bin in einem Prozess. Transformation, sagen die Coaches. Persönlichkeitsentwicklung, sagen die Podcasts. „Erst atmen lassen“, sagt der Sommelier.

Ich habe gelernt: Transformation hat mehr mit Wein zu tun, als mir lieb ist. Beides braucht Zeit, Geduld, gute Bedingungen zum Reifen – und manchmal ein bisschen Druck. Gärung ist selten hübsch. Sie blubbert. Sie riecht komisch. Und sie tut manchmal weh.

Am Anfang steht oft ein Reiz: eine Idee, ein neues Projekt, eine Sehnsucht, ein verdächtig energetischer TED Talk. Dann kommt Euphorie – gefolgt von der Realität. Das ist wie beim ersten Schluck Naturwein: Man denkt, „Wow, spannend!“ und kurz danach „Oder ist der schon gekippt?“ Transformation fühlt sich genauso an. Unklar. Komplex. Ungefiltert. Aber hier kommt der entscheidende Moment: Wenn man lernt, nicht gleich zu urteilen. Sondern zu schmecken. Zu warten. Und sich selbst zu erlauben, nicht immer sofort zu gefallen. Guter Wein muss nicht jedem schmecken – er muss Charakter entwickeln. Und das geht nur mit Zeit, Reibung und ein bisschen Reifeprozess im Dunkeln.

Ich lerne langsam, meine eigene Entwicklung zu genießen. Nicht zu überanalysieren. Nicht zu beschleunigen. Sondern innezuhalten. Zu riechen. Zu schmecken. Und zu merken: „Aha. Da passiert was.“ Transformation ist kein Sprint – sie ist ein Jahrgang. Und während ich früher dachte, Genuss sei das Gegenteil von Veränderung, weiß ich heute: Es ist genau umgekehrt. Wer genießt, nimmt sich Zeit. Und wer sich Zeit nimmt, kann wachsen. Ich bin also mittendrin. Im Prozess. In der Reifung. In meiner ganz persönlichen Cuvée aus Krisen, Chancen und einem ordentlichen Schuss Selbstironie.

Und wenn mich jemand fragt, wo ich gerade stehe, sage ich nur: „Ich bin nicht fertig – aber trinkbar.“

3 Responses

  1. Die Blogs lesen sich leicht und lässig, ich mag die Wortspielereien und die Vergleiche. Mir gefällt besonders gut die „toxische Wohngemeinschaft“. Ich drücke die Daumen, dass Geduld und Gelassenheit und gutes Gegengewicht zu den anderen WG-Bewohnern bilden. Hauptsache der Disruptor mit Hoodie zieht nicht ein 😉
    Der Blog inspiriert, sich selber auf die Reise zu machen und dabei ganz genau in sich reinzuhören und in kleinen aber bestimmten Schritten loszulegen. So werde auch ich mich an meinen störrischen Kleiderschrank machen und anfangen aufzuräumen. Wichtig auf der Reise sind dabei wahre Verbindungen zu Menschen. Wahre Verbindungen entstehen über Zeit, Tee und Interesse. Da kann ich voll zustimmen – auch was den Tee dabei anbelangt….
    Vielen Dank für die ermutigenden Worte!

  2. Das freut mich zu hören! Insbesondere, dass Dich der Blog inspiriert hat. Reisen – vielleicht gepaart mit etwas Abenteuer – und über das Übliche hinausgehen, können besonders viel zum Wachstum beitragen. Ich wünsche Dir viel Freude beim Entdecken!

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